Gessner widmet seine Schrift über die Milch seinem Freund Jakob Vogel, lateinisch «Avienus» – und schwärmt von der Schönheit der Berge.
In Zürich wird momentan der Arzt, Sprach- und Naturwissenschafter Conrad Gessner gleich in mehreren Ausstellung gewürdigt. Gessner lebte von 1516 bis 1565, der Anlass für die Feierlichkeiten ist also sein 500. Geburtstag. Vieles ist schon geschrieben worden über die Hauptwerke Gessners, mit denen er in ganz Europa bekannt wurde. Am berühmtesten ist wohl seine «Historia animalium», die ihn zu einem Pionier der modernen Zoologie machte – und die sich der schönen Bilder wegen auch sehr gut für Ausstellungszwecke eignet. Der Universalgelehrte verfasste auch eine «Bibliotheca universalis», die erste gedruckte Bibliographie, in der das Wissen der damaligen Zeit schön handlich aufgelistet war.
Conrad Gessner, 1516-1565
Ein Aspekt, der ob der gewichtigen anderen Themen ein wenig untergeht, ist Gessners Liebe zu den Bergen. Er war nämlich trotz seiner umfangreichen Studien alles andere als ein Stubenhocker. Immer wieder zog es ihn in die Berge, deren Schönheit er in den höchsten Tönen pries. 1555 etwa bestieg er den Pilatus, wozu es damals noch eine Bewilligung des Schultheissen von Luzern brauchte. Gessner erhielt die Erlaubnis, wurde aber begleitet von einem Stadtboten, der wohl als Aufseher darüber zu wachen hatte, dass er dem verwunschenen Pilatussee nicht zu nahe kam. Als Bergführer wurde zusätzlich der Senn der Alp Trockenmatt verpflichtet. Die Expedition führte via Eigental zum Mittaggüpfi – und schliesslich doch noch zum Pilatussee bei der Oberalp. In seiner kurz nach dem Besuch erschienenen Schrift «Descriptio montis fracti sive montis Pilati» lässt er die Leserschaft dann wissen, wie wenig er von der Sage des Pilatus hält, der in diesem sumpfigen Seelein herumgeistern soll. Ausführlich beschreibt er schliesslich, wie sehr ihm das Bergsteigen Freude bereite: «Es gibt in der Tat keinen unserer Sinne, der im Gebirge nicht ganz besonders auf seine Rechnung kommt.»
Noch eindringlicher hatte Gessner schon 1541 von den Schönheiten der Berge und vom Bergsteigen geschwärmt – in einer Schrift, in der es um die Milch und deren Zubereitungsarten ging. Das Werk widmete er seinem Freund Jakob Vogel (lateinisch: Avienus), der ihn zu einem Aufenthalt in Glarus eingeladen hatte. Er habe sich vorgenommen, so Gessner an Vogel, «jährlich mehrere oder wenigstens einen Berg zu besteigen, wenn die Pflanzen in Blüte sind, teils um diese kennenzulernen, teils um den Körper auf eine ehrenwerte Weise zu üben und den Geist zu ergötzen. Denn welche Lust ist es, und, nicht wahr, welches Vergnügen für den ergriffenen Geist, die gewaltige Masse der Gebirge wie ein Schauspiel zu bewundern und das Haupt gleichsam in die Wolken zu erheben.» Dann folgt ein gewaltiger Seitenhieb gegen jene Kollegen, die dies eben nicht so sehen, sondern sich wie Siebenschläfer im Winter in ihre Winkel verkriechen: «Die stumpfen Geistes sind, wundern sich über nichts, sie brüten in ihren Stuben und sehen nicht das grosse Schauspiel des Weltalls.» Ja, so weit gehe ihr Stumpfsinn, dass sie «gleich den Säuen immer in den Boden hineinsehen und niemals mit erhobenem Antlitz gen Himmel sehen … Mögen sie sich wälzen im Schlamm, mögen sie kriechen.» Wer hingegen nach Weisheit strebe, werde fortfahren, die Erscheinungen dieses irdischen Paradieses «mit den Augen des Leibes und der Seele» zu betrachten. Zusammenfassend schreibt Gessner: „Ich behaupte daher, dass ein Feind der Natur sei, wer die erhabenen Berge nicht einer eingehenden Betrachtung würdig erachtet.“ 25-jährig war Gessner, als er dies schrieb. Der Text gilt heute als einer der ersten, in denen die Berge nicht als Bedrohung, sondern als alpinistische Verlockung beschrieben wurden. Er darf denn auch in keiner Anthologie zur Geschichte des Bergsteigens in der Schweiz fehlen.