Anfang 1868 errangen die Demokraten einen unglaublichen Sieg: Mit einer überaus deutlichen Mehrheit beschlossen die Stimmberechtigten, eine neue Verfassung mit deutlich erweiterten Volksrechten ausarbeiten zu lassen. Liberale und Konservative verstanden die Welt nicht mehr – vor allem aber das Volk. Sie kauften deshalb die NZZ und setzten einen neuen Chefredaktor ein, um mit diesem Volk eine «engere Fühlung» zu schaffen. Selbstverständlich ging die Sache schief. Aber zunächst der Reihe nach: Zentrale Figur in diesem Drama ist der Zürcher Jurist Eugen Escher (1831-1900). Wie einige seiner Zeitgenossen hatte er eine unglaubliche Fülle von Posten und Aufgaben: Er war Zürcher Stadtschreiber und gleichzeitig Gerichtsschreiber am Bundesgericht. Dazu Kantonsrat, National- und schliesslich auch Ständerat (nachdem ihn Alfred Escher überzeugt hatte, diesen Posten auch noch anzunehmen). Wir wissen relativ viel über Eugen Eschers Leben und Denken, weil seine Lebenserinnerungen nach seinem Tod in der NZZ erschienen sind. Zu finden sind diese unter dem Titel «Lebenslauf in ruhigen und bewegten Zeiten» auch als Separatdruck.
Eugen Escher war ein offener Geist und suchte auch in seiner Rolle als Stadtschreiber grösstmögliche Transparenz: «Vor allem bemühte ich mich, die noch immer sich zeigende, aus älteren Zeiten überkommene Geheimnistuerei über die Vorgänge und Bestrebungen in der Stadtverwaltung zu beseitigen und an deren Stelle eine regelmässige, sich gegenseitig stützende und fördernde Wechselwirkung zwischen Bevölkerung und Behörden zu setzen.» Er erfindet zu diesem Zweck Jahresberichte, Berichte zu Rechnung und Budget, Stadtratsmitteilungen und die öffentlichen Sitzungen des grossen Stadtrats (heute Gemeinderat), also alles Dinge, mit denen wir Lokaljournalisten uns täglich herumschlagen.
Die zusätzlichen Volksrechte, die sich die Demokraten auf die Flagge geschrieben hatten, waren Escher dann aber doch zu viel. Er habe zwar eine gewisse Sympathie für die Forderungen, stelle sich aber gleichwohl gegen die Demokraten, meinte er. Der Konflikt war aber auch einer zwischen Zürich und Winterthur, zwischen NZZ und «Landboten». Als Escher einmal fand, die baulichen Bestrebungen in Zürich würden über Gebühr von den demokratischen Kräften behindert, griff er selber zum Griffel und wandte sich vehement gegen eine Artikelserie im «Landboten», mit der seiner Ansicht nach die Landbevölkerung gegen Zürich aufgewiegelt wurde.
Der Sieg der Demokraten war für Escher ein schwerer Schlag. Vor allem aber schmerzte ihn, dass auch in Zürich selber eine Mehrheit für die neue Verfassung zusammenkam. Jetzt machte sich, so Escher in seinen Lebenserinnerungen, «in liberalen und konservativen Kreisen die Ansicht geltend, dass mit den Stimmberechtigten eine engere Fühlung geschaffen und hiefür insbesondere der Presse eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse». Gegner der Verfassungsrevision kauften darauf die NZZ, nachdem die Idee zur Gründung einer Konkurrenzzeitung verworfen worden war. Das Unternehmen wurde zur AG, Eugen Escher zum neuen Chefredaktor. Doch es war ein schwieriger Start. Escher erhöhte sofort die Preise für Abonnements und Inserate, brachte die Zeitung dafür zwei Mal täglich auf den Markt. An der Redaktion verzweifelte er fast: Das «vorhandene Redaktionspersonal» sei nicht nur numerisch unzureichend, «sondern auch in der Mehrzahl ungeeignet», fand er. Aber es gebe auch kaum genügend Leute auf dem Markt für diese Posten.