Der Besuch Adolf Hitlers 1923 in Zürich und seine Rede in der Villa Schönberg schlagen momentan ein paar Wellen in den Schweizer Medien. Im «Tages-Anzeiger» fordern nun Historiker, dass auf der Website des Rietberg-Museums auf diese Episode in der Geschichte des Hauses hingewiesen wird. Der Museumsdirektor Albert Lutz will das auch pflichtschuldig tun – obwohl der Hitler-Besuch eigentlich allen bekannt war, die es wissen wollten. Ich erlaube mir im Gegenzug auf eine Besonderheit in der Geschichte des «Tages-Anzeigers» hinzuweisen, die eigentlich auch allen bekannt sein könnte, die aber dennoch immer wieder vergessen geht: Am 17. Dezember 1931 hat Adolf Hitler seine Gedanken zu den Nationalsozialisten und der künftigen Entwicklung Europas auf mehr als einer halben Frontseite des «Tagi» ausbreiten können. Titel: «Was wollen wir Nationalsozialisten».
Wie gesagt, das wird keineswegs verschwiegen. Im 1993 erschienenen und immer noch lesenswerten Buch zum 100-Jahr-Jubiläum des «Tages-Anzeigers» wird der Geschichte um Hitlers Leitartikel sogar ein eigenes Kapitel gewidmet. Etwas relativierend wird dort ausgeführt, dass der Artikel in einer Reihe von Verlautbarungen anderer Politiker stand, die meist von Agenturen verbreitet wurden. Mussolini durfte mehrmals, einmal war der US-Präsident Hoover dran und 1938 schliesslich auch noch Winston Churchill. Im redaktionellen Teil war der «Tages-Anzeiger» den Nationalsozialisten weniger zugeneigt: Besonders der Redaktor Paul Künzli erkannte die Gefahr, die von deren Machtübernahme ausging, relativ früh. Am 31. Januar 1933 schrieb er beispielsweise: «Nun tappt man auf einem Weg ins Dunkle und allen Abenteuern ist Tür und Tor geöffnet, nun steht ungeheuer viel auf dem Spiel.»
Die Artikel von Hitler und Mussolini im «Tages-Anzeiger» werden von Historikern unterschiedlich gewertet. Die einen sehen darin einen klaren Verstoss gegen die selbst verordnete Neutralität des Blattes, während andere (unter ihnen der Autor des Jubiläumsbuchs) finden, das Publikum habe die Leitartikel der externen Autoren sehr wohl richtig einordnen können.