Die Hafenkran-Geschichte ist uns allen noch bestens präsent. Dass aber vor bald 30 Jahren noch deutlich heftiger um den «Cube» gestritten wurde, wissen nur noch wenige. Dieser Würfel aus Zementsteinen mit einer Seitenlänge von fünf Metern war ein Geschenk und hätte eigentlich irgendwo in Zürich aufgestellt werden sollen. Doch bei jedem vorgeschlagenen Standort gab es einen kleinen Aufstand von Anwohnern und hilfswilligen Politikern. Im Jahr 2000 habe ich dazu unter dem Titel «Der Klotz im Kopf» eine kleine Kolumne geschrieben – die nun in einem entscheidenden Punkt überholt ist. Doch davon später mehr. Zuerst der alte Text:
«Kunst ist, wenn man trotzdem lacht. Sagen die einen. Die meisten aber ärgern sich, wenn sie nicht auf Anhieb merken, «was uns der Künstler sagen will». Immer dasselbe. Ob der Künstler nun einen Metallwürfel auf den Paradeplatz stellt oder Denkmäler verschiebt. Am meisten Proteste hat in den letzten Jahren aber ein Kunstwerk ausgelöst, das gar nie wirklich in Zürich stand: Sol LeWitts «Cube», geplant als Würfel aus weissen Backsteinen mit fünf Meter Seitenlänge. Minimal Art eigentlich, aber so gross wie ein Einfamilienhaus.
«Grümpel», «Verarschung», «Ziegelstein-Frusthaufen», schallte es durch sämtliche Leserbriefseiten, als die Stadt 1986 das Geschenk der Walter-A.-Bechtler-Stiftung am Zürichhorn aufstellen wollte. Selbst Kunstkritiker lagen sich in den Haaren, volkstümliche Parlamentarier reichten Vorstösse ein, der Gemeinderat musste debattieren, der Stadtrat schliesslich klein beigeben und nach einem neuen Standort suchen. Er suchte, fand und verwarf jeweils kurz darauf wieder. Es kam zu einer jahrelangen Odyssee des imaginären Kunstwerks, bis es schliesslich allen Beteiligten zu bunt wurde und man 1993 gänzlich verzichtete. Heute steht statt des «Cube» der Chinagarten im Park am Zürichhorn.
Ein Kunstwerk ist nur Kunst, wenn es Diskussionen auslöst. Alles andere ist langweilige Dekoration. Was auch heisst, dass die lauthalsen Proteste mithelfen, aus dem profanen Gegenstand ein Kunstwerk zu machen. Der «Cube», den es eigentlich gar nicht gibt, ist demnach ein Kunstwerk, an dem sehr viele Zürcherinnen und Zürcher auf ihre Art mitgestrickt haben. Ihn noch aufstellen zu wollen, ist unnötig. Mit all dem, was er ausgelöst hat, ist er längst zu einem Teil Zürichs und seiner Geschichte geworden. Der «Cube» steht zwar nicht wie geplant auf der grünen Wiese, dafür haben wir ihn alle in unseren Köpfen.»
Und nun ist also alles anders. Der «Cube» steht seit einiger Zeit im Zellweger-Park in Uster und kann besichtigt werden. Der erste Gedanke, als ich ihn sehe: «Das ist er nun also!» – und der zweite: «Vermutlich sieht er schöner aus, wenn es nicht regnet». Das war’s dann aber auch schon. Der «Cube» ist Geschichte, erzählt aber immerhin so nebenbei eine Geschichte über die Stadt Zürich und ihren Umgang mit Kultur. Sehr viel interessanter erscheint mir jetzt aber die schwimmende Holzbrücke von Tadashi Kawamata gleich daneben – oder der «Steinhaufen» von Fischli und Weiss, der dank des permanent darauf spritzenden Wassers allmählich vermoosen soll.
Und ganz aktuell sorgt ein anderer, deutlich grösserer Würfel im Zellweger-Park für Gespräche. Der Zellweger-Park wird ja so allmählich zu einer Architektur-Ausstellung: Nach Wohnbauten von Gigon/Guyer oder Morger + Dettli folgen nun Herzog & deMeuron. Ihr Wohngebäude, das demnächst bezogen werden soll, ist ein achtstöckiger Würfel mit erker-artigen Bauten an allen Ecken. Darin befinden sich die grossen Balkon, die mit Aussentreppen kombiniert sind. Ein gemeinsames Treppenhaus gibt es nämlich im Haus nicht, lediglich zwei Lifte in der Mitte. Eine «völlig neue Gebäudetypologie», meint die Bauherrschaft. Ich sage: Eine interessante Idee; mal schauen, wie das funktioniert. Wer mehr wissen will, findet hier die Broschüre von Herzog & de Meuron mit den Grundrissen des Hauses.