Die Partisanenschlacht vor dem Kurhotel

Bagni klein

Die Überreste des Kurhotels – jenseits des Flusses, der gleichzeitig die Landesgrenze ist.

Ich habe Aline Valangin kennengelernt – endlich, muss man wohl sagen. Im Limmat-Verlag sind ja vor etwa 20 Jahren nicht nur ihre Romane „Die Bargada“ und „Dorf an der Grenze“ erschienen, sondern auch eine Biografie über sie und ihren Ehemann Wladimir Rosenbaum, verfasst von Peter Kamber. Die beiden hatten im Zürich der dreissiger Jahre ein Haus, das Flüchtlingen und Emigranten offenstand. Viele Künstler gingen bei ihnen ein und aus, Aline wurde zur Muse berühmter Schriftsteller wie Kurt Tucholsky und James Joyce, bevor sie selber zu schreiben begann. Wenige Jahre später kauften die beiden ein Haus in Comologno, ganz zuhinterst im Onsernonetal.
Man würde ja annnehmen, dass an diesem äussersten Zipfel der Schweiz, zu dem man nur nach unendlich langen – und manchmal auch recht heiklen – Kurvenfahren gelangt, fast nichts vom Krieg zu spüren war. Doch das Gegenteil ist wahr: In Spruga und Comologna kamen nicht nur Heerscharen von Schmugglern an, sondern auch Partisanen in grosser Zahl, die in der Schweiz Schutz suchten vor Faschisten und Nazi-Deutschen. Der Weg vom italienischen Val Vigezzo ist zwar auch nicht gerade ein Spaziergang, aber immerhin etwas einfacher als jener von der Schweiz her.
Seit dem 14. Jahrhundert gab es an der Grenze bei Spruga ein Kurbad, zu dem die Gäste aus dem italienischen Craveggia mit Sänften getragen worden sein sollen. Im 19. Jahrhundert wurde dann ein eigentliches Kurhotel erbaut, die Bagni di Craveggia, das aber die Leute nicht gerade in Massen anzog. Zu abgelegen war wohl das Bad – und zu spärlich sprudelnd die Quelle. Später wurde das Haus mehrmals durch Lawinen zerstört. Die Überreste des Bads sind aber heute noch zu bewundern; überall liegen alte Badewannen herum, und im grössten Becken kann man sogar noch thermalbaden, wenn man eine Kerze für die Beleuchtung dabei hat.
Die tragischsten Geschichten um diesen geschichtsträchtigen Ort spielten sich 1944 ab: Nach der Kapitulation der Faschisten in Italien bildeten sich nach 1943 überall freie Republiken. Im Norden entstand so die „Repubblica d’Ossola“ mit einer Grösse von 1600 Quadratkilometern und rund 75‘000 Einwohnern. Sie bestand allerdings nur gut einen Monat lang. Am 23. Oktober 1944 wurde sie bereits wieder zerschlagen. Wenige Tage zuvor flohen 500 Menschen, Partisanen und Zivilisten, Männer und Frauen, vor den Deutschen und den italienischen Faschisten über die Berge nach Spruga, um dort die Schweizer Grenze zu erreichen. Die Verfolger holten sie kurz vor der Grenze ein und eröffneten sofort das Feuer. Drei Personen wurden erschossen, ein Mann auf Schweizer Gebiet. Heute gilt die „Battaglia di Bagni di Craveggia“ als einer der schwersten Grenzzwischenfälle während des Zweiten Weltkriegs. Ein Kreuz erinnert noch heute an Federico Marescotti, der damals auf Schweizer Boden erschossen wurde.
Valangin BuchAline Valangin hat der bewegten Geschichte von Spruga und Comologno in ihrem Doppelroman „Die Bargada / Dorf an der Grenze“ auch ein Denkmal gesetzt. Im äusserst lesenswerten Buch schildert sie das Leben in diesem abgelegenen Winkel der Schweiz, besonders auf einem sehr speziellen Hof, wo die Frauen über die Jahrhunderte immer wieder das Sagen haben – weil die Männer auswärts einen Verdienst suchen müssen oder schlicht zu schwach sind, der zupackenden Art der Frauen etwas Ebenbürtiges entgegenzusetzen. Im zweiten Buch geht es dann um den Schmuggel, der das Dorf und dessen Leute stark verändert. Aber auch um die Partisanen, die allmählich die Schmuggler ablösen und das Dorf als Zufluchtsort sehen. Dieses zweite Buch konnte lange nicht veröffentlicht werden – vielleicht auch deshalb, weil Aline Valangin die offizielle Schweizer Flüchtlingspolitik sehr ungeschminkt schildert. Sie beschreibt, wie man die fliehenden Nazi-Soldaten reinlässt, die Partisanen aber vor der Grenze den Angriffen preisgibt. Recht willkürlich wirken die Entscheide „von Bern“, welche Flüchtlinge man aufnehmen will und welche man auf dem beschwerlichen Weg wieder nach Italien zurückschickt. Ein äusserst lesenswertes, spannendes Stück Schweizer Literatur und Geschichtsschreibung. Weitere Informationen finden sich zum Beispiel auf der Website von Ticinarte oder im Wanderbuch „Bäderfahrten“ von Ursula Bauer und Jürg Frischknecht.