Herzog und de Meuron sind ja momentan wohl die renommiertesten Schweizer Architekten. Nun haben sie auf dem Chäserrugg ein hübsches Bergrestaurant gebaut – nicht gerade eine Tate Modern oder die Allianz-Arena, aber doch eindrücklich, auffallend und sorgfältig gemacht. Die Touristen jedenfalls habe das Haus schon wenige Tage nach der offiziellen Eröffnung für sich entdeckt und geniessen ganz offensichtlich die durchdachte Architektur. Auch mir gefällt das Gebäude ausnehmend gut, aber es beschäftigt mich gleichzeitig die Frage, ob sich die Architekten womöglich von Ernst Gisel und seinem Ferienhäuschen auf der Rigi inspirieren liessen. Es mag auf den ersten Blick eine etwas steile These sein, doch wenn man sich den Artikel von Jacques Herzog über Gisels Holzhäuschen im Kaltbad noch einmal vor Augen führt, hat es ja vielleicht doch etwas. Herzog und de Meuron waren befreundet mit dem Sohn von Ernst Gisel und konnten jeweils gemeinsam mit ihm den September im familieneigenen Ferienhäuschen auf der Rigi verbringen. Herzog schwärmte später in den höchsten Tönen davon, hob das exzellente Zusammenspiel der verschiedenen Funktionen im Innenraum hervor, und natürlich auch die grosszügige, nach Süden ausgerichtete Veranda, auf der sich die drei Studenten jeweils bräteln liessen. Alles in allem, meinte Herzog, handle es sich um ein «regelrechtes kleines Meisterwerk». Auch das Dach, das sich nicht auf den ersten Blick erschlüsseln liess, ist bei Gisels Bauwerk etwas ganz Spezielles.
Und nun also das Haus auf dem Chäserrugg. Ich bin über den Hinterrugg aufgestiegen und sehe schon von weitem die grosszügige gedeckte Veranda. Für ein Berghaus ist das doch etwas Besonderes; meist sitzt man in der sengenden Sonne und muss sich mit Coca-Cola-Schirmen behelfen. Und natürlich ist auch diese Veranda gegen die Südseite ausgerichtet. Alles ist aus Holz gefertigt: Wände, Böden, Möbel – alles Ton in Ton und aus dem gleichen Material. Es gibt einen langgezogenen Innenraum, in dessen Zentrum ein Cheminée steht, das die Leute in den Lounge-Sesseln darum herum erwärmen soll. Im Selbstbedienungsteil gibt es wunderschöne Nischen – Tisch und zwei Bänke – mit Blick auf die Schattenseite, was in diesem Fall durch den Blick auf das eindrückliche Säntis-Massiv kompensiert wird. Die Nischen, die auch ein bisschen an Zugabteile erinnern, sind jedenfalls schon sehr beliebt bei den Besucherinnen und Besuchern. Überhaupt spielen Herzog & de Meuron immer mit dem Gegensatz von grosszügigem Innenraum und «heimeligen» Nischen. Wenn man in den oberen Stock geht, erwartet einen zunächst eine ziemlich unerwartete Lounge mit Blick auf die Bähnlitouristen. Sehr hübsch! Dort sieht man dann auch, was man sonst so machen kann aus Holz: Die Latten der Zwischenwände sind in wechselnder Abfolge durch einen Balken gespreizt, was einen luftig-lockeren Eindruck vermittelt – ein Bisschen aber auch an frühere Holzzäune auf den Alpen erinnert. Und das Dach – nun ja, da müsste man schon auch noch näher hinschauen!
Es ist eben schon etwas Anderes, wenn «Stars» bauen. Das sieht man auch einem Berghaus an. Die doch sehr speziellen Toiletten, bei denen man im ersten Moment nicht so recht weiss, auf welche Seite man sich wenden soll, meine ich jetzt nicht. Aber die Betonstützen für die Balken beispielsweise – oder die sehr schön verarbeiteten Geländer (aus Holz natürlich auch diese). Momentan hält das Interesse für das sehr spezielle Stück Architektur auch bei den Bähnlitouristen natürlich noch an. Ich bin aber gespannt, wie sich die Sache entwickelt. Wird das Besondere, das jetzt für alle so augenfällig ist, auch auf Dauer bestehen? Ich nehme mir schwer vor, das genau ein Jahr später noch einmal zu überprüfen. Ich bin aber grundsätzlich sehr zuversichtlich.